Warum frugale Innovationen auch die Arbeitswelt verändern
Ein Interview mit Dr. Rajnish Tiwari, Leiter des Forschungsprogramms “Global Innovation” am Insitut für Technologie und Innovationsmanagement der Technischen Universität Hamburg (TUHH)
Herr Dr. Tiwari, das Wort „frugal“ bedeutet neben dem Verweis auf Früchte auch „einfach“ sowie „Nutzen bringend“ und bezieht sich unter anderem auf bescheidene Mahlzeiten. Doch was sind „frugale Innovationen“?
Wenn Wissenschaftler den Begriff kurz und prägnant erklären sollen, sprechen sie von „erschwinglicher Exzellenz“. Es geht um innovative Lösungen, die bezahlbar bleiben und gleichzeitig exzellente technologische Qualität gewährleisten.
Für wen ist das interessant?
Selbstverständlich für Schwellenländer, in denen viel Armut herrscht. Aber das Thema wird auch in Industrienationen zunehmend wichtiger. Einmal abgesehen davon, dass sich auch in diesen Ländern, etwa aufgrund steigender Altersarmut, schon jetzt viele Menschen keine überteuerten Produkte mehr leisten können, gibt es gerade unter den jüngeren, wohlhabenderen Bevölkerungsgruppen einen Trend zu frugalen Produkten und Dienstleistungen.
Wie verändert dieser Trend die Anforderungen an die Produzenten?
Überentwickelte Produkte werden unattraktiv, zum Beispiel eine Waschmaschine mit Konnektivität zu allen möglichen anderen Geräten und mit 30 unterschiedlichen Funktionen, von denen man dann letztlich nur zwei oder drei nutzt. Umfragen haben gezeigt, dass sich Menschen von hyperkomplexen Produkten überfordert fühlen. Diese Hyperkomplexität ist vermeidbar – und die Waschmaschine dennoch auf dem technologisch neuesten Stand. Außerdem spielt das zunehmende Umweltbewusstsein der Menschen eine Rolle. Sie wollen die verschwendeten Ressourcen nicht mehr konsumieren, die in hochkomplexen Produkten stecken, ohne dass man sie nutzt. Eine qualitative Befragung unter Studierenden der Technischen Universität Hamburg hat ergeben, dass sich 64 Prozent für ein frugales Auto entscheiden würden, selbst wenn sie sich ein Auto aus dem Premiumsegment mit 350 PS und sämtlichen möglichen Funktionen leisten könnten. Mit der technologischen Kompetenz, die es in Deutschland gibt, kann man mit frugalen Lösungen auf einem globalen Markt erfolgreich sein. Aber dafür muss man umdenken.
In welche Richtung?
In Deutschland ist es Tradition, dass Forschung und Entwicklung als Kernkompetenz in den Unternehmen verbleiben soll. Wenn sie aber heutzutage versuchen, ein international erfolgreiches Produkt alleine zu entwickeln, benötigen sie häufig sehr hohe finanzielle Investitionen und tragen ein gewisses Risiko. Auch hier kann die Lösung frugal sein, wenn Unternehmen kooperativ vorgehen und Expertise aus der ganzen Welt einholen. Deutschland braucht die globale Zusammenarbeit, gerade auch mit Partnern in Schwellenländern. Die „Frugal Innovations“-Veranstaltungsreihe des DWIH Neu-Delhi im Jahr 2018, an der ich als Redner teilgenommen habe, hat zu diesem wertvollen Dialog über internationale Lösungen beigetragen.
Innovative frugale Lösungen sind also auch in der modernen Arbeitswelt gefragt?
Unbedingt. Sowohl die Gestaltung der Arbeitsplätze als auch die Arbeitsweisen können frugal verbessert werden.
"Mithilfe der digitalen Technologien und der digitalen Transformation können die Menschen viel leichter und erschwinglicher in die Lage versetzt werden, produktiv zu arbeiten. Produktentwicklung muss nicht mehr an einem einzigen Ort stattfinden. Kooperatives Zusammenarbeiten mit den besten Experten weltweit ist in der digitalen Welt sehr einfach möglich."Dr. Rajnish Tiwari, Leiter des Forschungsprogramms "Global Innovation" am Institut für Technologie- und Innovationsmanagement der Technischen Universität Hamburg
Was muss sich ändern?
Die frugale Lösung ist eine Frage der Denkweise. Es gibt einen schönen Witz, in dem ein Mitarbeiter in der Automobilindustrie zu seinem Chef kommt und sagt, der Konkurrent habe jetzt eine Waschmaschine im Auto. Und die Reaktion ist nicht etwa: Warum das? Sondern: Okay, dann bauen wir zwei Waschmaschinen ein. Das ist die Sichtweise, die sich schnell ergibt, wenn man in gesättigten Märkten arbeitet. Dieser Ansatz kann nicht mehr lange gut gehen. Es braucht mehr Diversität unter den Produktentwicklern und zusätzliche Fachkompetenzen aus Soziologie, Psychologie und vielen weiteren Bereichen. Den Entwicklern müssen die Benutzungsumstände klar sein. Ein anspruchsvolles Produkt, das nicht mit Stromunterbrechung umgehen kann, ist für den indischen oder afrikanischen Markt verloren. Ich denke, frugale Innovationen haben zwei wesentliche Vorteile: Sie stärken die Wettbewerbsfähigkeit etablierter Industrien langfristig und verbessern die Lebensstandards weltweit.